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Klangvolle Begleitung am Lebensende 25. März 2024

Klangvolle Begleitung am Lebensende

Evelyn Goetschel ist selbstständige Musiktherapeutin. Zweimal wöchentlich ist sie auf der Palliativstation des Spitals Uster unterwegs und besucht unheilbare Menschen. «Musik schlägt Brücken», sagt sie.

Was genau ist Musiktherapie?

Die Musiktherapie hat zum Ziel, die körperliche und psychische Gesundheit des Einzelnen zu stärken. Sie hilft Menschen, ihre Gefühle auszudrücken oder zu verarbeiten. Dies insbesondere, wenn sie Schwierigkeiten haben, sich verbal auszudrücken. Ausserdem wird sie eingesetzt, um Angst oder Stress zu reduzieren. Ich arbeite in meiner Praxis mit Menschen, die kognitive oder körperliche Beeinträchtigungen haben, mit Menschen in Lebenskrisen oder vor schwierigen Lebensübergängen wie Pensionierung oder Scheidung und – wie im Spital Uster – mit Menschen, die unheilbar krank und an ihrem Lebensende angekommen sind.


Verlangen die Patientinnen und Patienten explizit nach dir?

In der Palliative Care ist es so, dass die Musiktherapie von den behandelnden Ärztinnen oder Ärzten angestossen wird. Indikationen dafür können grosse Unruhe, Schmerz oder seelisches Leid der Patientinnen und Patienten sein. Wer mich aber bereits kennengelernt hat, kann auch direkt nach mir verlangen.


Wie gehst du in deiner Arbeit vor?

Heute arbeitete ich zum Beispiel mit Patientinnen und Patienten, die starke Schmerzen haben. Dafür finde ich die Klänge des Monochords sehr geeignet. Das Monochord (oder auch die Körpertambura) ist ein grosses, flaches Saiteninstrument, das zur Klangbehandlung oder Klangmassage direkt auf den Körper gelegt werden kann oder von mir neben dem Bett gespielt wird. Ich bringe die Saiten durch Zupfen zum Klingen und versuche, die Konzentration der Patientinnen und Patienten von ihren Schmerzen wegzulenken und in einen Entspannungszustand zu führen. Dabei vertieft sich oft der Atem, die Gedanken können sich beruhigen und es kann ein allgemeines Wohlbefinden empfunden werden.


Sind die Patientinnen und Patienten also meist passiv?

Nein, das ist sehr unterschiedlich. Manchmal ist das Ziel meines Besuches, bei einer Patientin oder einem Patienten die Lebensgeister zu wecken. Hier ist eine freie Improvisation möglich. Wir tauchen dann in ein gemeinsames musikalisches Gespräch mit verschiedenen, einfach zu spielenden Instrumenten ein.  


Sind die meisten Menschen empfänglich für Musik?

Eigentlich schon. Manche benötigen etwas mehr Zeit, sich darauf einzulassen. Musik ermöglicht es, Brücken zu schlagen. Sie kann Erinnerungen wecken und Gefühle freisetzen. Ausserdem kann man über die Musik Biografiearbeit machen. Lieder sind oft Wegmarken davon. Nicht selten kommt es vor, dass selbst sehr schwache Menschen noch einmal zu singen beginnen.


Ich stelle mir das als sehr herausfordernd für dich vor.

Nun ja. In der Musiktherapie ist absolute Präsenz erforderlich. Anders als in der Seelsorge, wo Gespräche nachwirken können, hilft mir die Musik, Gefühle im Moment zu verarbeiten. Diese intensive Präsenz ist zwar anstrengend, aber ich gehe meist gelöst nach Hause.


Du bist auch Seelsorgerin?

Ja. Mein Weg in die Musiktherapie war nicht direkt. Ich habe ursprünglich Theologie studiert und war zehn Jahre lang als Gemeindepfarrerin tätig, gefolgt von sechs Jahren in der Psychiatrieseelsorge. Während dieser Zeit absolvierte ich parallel zu meiner Arbeit die vierjährige Ausbildung an der ZHdK MAS Klinische Musiktherapie und machte anschliessend das Diplom zur eidg. dipl. Kunsttherapeutin Fachrichtung Musiktherapie. Seit 2018 arbeite ich im Nebenberuf als Musiktherapeutin, seit Anfang 2022 ausschliesslich als selbstständige Musiktherapeutin.


Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Die Liebe zur Musik war immer schon da. Bereits als Kind wollte ich «mit Musik sprechen können». Eine Freundin der Familie war Musiktherapeutin. Mich faszinierte das, obwohl ich mir nicht wirklich vorstellen konnte, was sie genau tat. Nach der Matura setzte ich mich erstmals mit dem Gedanken eines Studiums in Musiktherapie auseinander. In der Schweiz benötigt man dazu aber eine Grundausbildung. Ich hätte deshalb nach Wien gehen müssen. Dazu fühlte ich mich damals nicht bereit. Die Musik begleitete mich aber immer. Sie gehört zu meinem Alltag. Mein Mann ist auch Musiker.


Hast du deine Berufung nun gefunden?

Absolut. Aber es war auch richtig, mit der Musiktherapie zuzuwarten. Lebenserfahrung hilft enorm. Die hätte mir als 20-Jähriger gefehlt. Ausserdem hat mich mein beruflicher Werdegang vieles gelehrt. Ich habe beispielsweise keinerlei Berührungsängste, wenn es ums Thema «Sterben» geht.


Was freut dich an deiner Arbeit am meisten?

Musik ist ein unsichtbarer Raum, aus dem etwas entstehen kann. Sie ist sehr verbindend. Ich staune immer wieder von Neuem, wie Menschen über Musik miteinander in Kontakt treten können. Kürzlich war ich in einem Patientenzimmer mit zwei Männern, die offensichtlich Spannungen untereinander hatten. Ich setzte mich zwischen sie und machte Musik. Es war wunderbar, zu sehen, wie sie anschliessend anfingen, freundlich und entspannt miteinander zu reden. Das hat mich enorm gefreut.

Text: Sarah Buob Headerbild: Sarah Stangl