Schmerz und Schmerzunempfindlichkeit sind im Spital ein grosses Thema. Spezialisiert darauf sind unsere Anästhesistinnen und Anästhesisten. Ihr Wirkungskreis reicht vom Gebärsaal über den Operationssaal bis zum Einsatz auf der Strasse.
Es ist noch nicht sehr lange her, da waren chirurgische Eingriffe für den Menschen eine Tortur. Schmerzen mussten tapfer erduldet werden, indem die Betroffenen auf ein Stück Holz oder Leder bissen und von mehreren Personen festgehalten wurden. Dank der Entdeckung der Anästhesie dürfen wir heutzutage während einer Operation schlafen. Fälschlicherweise gehen aber viele Menschen davon aus, dass für die Schmerzunempfindlichkeit die Operateurin oder der Operateur zuständig ist. Dabei sind es Anästhesistinnen und Anästhesisten, die sich eigens in dieser Fachdisziplin fünf Jahre lang weitergebildet haben. Sie sind auf den Erhalt der Vitalfunktionen spezialisiert – während einer Narkose, im Aufwachraum, auf der Intensivstation oder in der Notfall- und Rettungsmedizin, wo sie als Notärztinnen und Notärzte Einsatz leisten. Ihr Wirkungskreis ist gross und reicht vom Gebärsaal bis zum Einsatz auf der Strasse.
Die Bildreportage zeigt ein Tag im Leben unserer Anästhesistinnen und Anästhesisten unter der Leitung von Chefarzt Dr. med. Simon Sulser.
Das Anästhesie-Team versammelt sich beim Morgenrapport zum Kurzaustausch. Die einen Anästhesisten wirken danach im Operationssaal, die anderen auf der Station. Ein Wechsel ist nicht vorgesehen, da es sich beim Operationssaal um eine sterile Zone handelt. Dr. med. Jelica Drepaul ist heute die Frau in Weiss, d. h. sie arbeitet auf der Station. Dort ist sie für die Sprechstunden, Notfalleinsätze, den Schmerzdienst sowie den Schockraum zuständig.
In der Anästhesie-Sprechstunde kommt die Patientin oder der Patient erstmals in Kontakt mit der Anästhesistin. Das Gespräch im Vorfeld einer Operation dient dazu, aufzuklären und Ängste abzubauen. Gemeinsam mit der Patientin entscheidet Oberärztin Dr. med. Jelica Drepaul, welche Anästhesie-Methode zum Einsatz kommt. Diese ist vom Gesundheitszustand, den Lebensgewohnheiten und – je nach Eingriff – den individuellen Präferenzen abhängig. Ist die Narkose festgelegt und die Patientin über die Prozesse in Kenntnis gesetzt, werden Fragen geklärt. Dr. Drepaul nimmt Stellung zum Thema «Übelkeit». «Wird Ihnen beim Schaukeln schlecht?», fragt sie die Patientin. Als diese verneint, kann sie beruhigen: «Dann haben Sie gute Voraussetzungen, dass Ihnen nach der Narkose nicht übel wird.»
Manchmal bleibt für die Aufklärung vor der Operation nicht ganz so viel Zeit: Nämlich dann, wenn eine Patientin notfallmässig eintritt. Das ist bei der 45-jährigen Frau Ammann ((sämtliche Namen unserer Patientinnen sind abgeändert)) der Fall, bei der eine Blinddarmentzündung diagnostiziert wurde. Sie muss noch gleichentags operiert werden. Auch sie wird von Dr. med. Drepaul befragt und aufgeklärt. Hat die Patientin Vorerkrankungen? Ist sie nüchtern? Viele Faktoren haben Einfluss auf die Narkosemethode.
Eine andere Patientin, Frau Stauber, steht schon kurz vor ihrem Eingriff. Sie bekommt einen Hüftersatz. Oberarzt Dr. med. Michael Hanusch überprüft die letzten Details und spricht ihr Mut zu – dies, obwohl ihre jugendlich anmutenden Blutdruckwerte darauf hinweisen, dass sie dem Eingriff recht entspannt entgegensieht.
Derweil bereitet Anästhesie-Pflegefachmann Tamas Tobias die Medikamente vor.
Die Patientin wird in den Vorraum des Operationssaals verlegt. Nun werden Geräte angebracht, die sowohl Blutdruck, Puls, Herzströme sowie Sauerstoffsättigung messen. Ausserdem legt ihr Tamas Tobias einen intravenösen Zugang. Über die Vene wird der Patientin nicht nur das Schlafmittel injiziert, sondern auch Medikamente und Infusionslösungen zugeführt.
Dr. Hanusch ist mit Frau Stauber stets im Austausch und erklärt ihr Schritt für Schritt, was auf sie zukommt. Auf sie wartet jetzt der künstliche Schlaf. «Denken Sie sich an einen schönen Ort», rät ihr der Oberarzt. Nur wenige Sekunden später schläft die Patientin tief. Erst dann führt ihr der Arzt einen Schlauch (Tubus) in die Luftröhre ein. Über diesen wird sie während der Operation künstlich beatmet.
Frau Stauber wird nun für die Operation vorbereitet. Gleichzeitig wird der Saal für sie hergerichtet: Instrumentarien, sterile Tupfer und Tücher werden bereitgelegt. Bevor es zum Schnitt kommt, muss die Patientin optimal gelagert werden.
Dr. Hanusch weicht der Patientin während der Operation nicht von der Seite. Mithilfe der Überwachungsgeräte, aber auch durch persönliche Beobachtung überprüft er ihre Vitalfunktionen. Der Oberarzt registriert selbst feinste Zuckungen der Augenlider: «Das gibt mir einen Hinweis darauf, dass die Schlaftiefe der Patientin nicht mehr ganz so tief ist und ich die Dosis der Narkose erhöhen muss», erklärt er. Auch die Körpertemperatur wird ständig überwacht. «Mit einer Heizdecke sorgen wir dafür, dass die Patientin nicht zu stark abkühlt.»
Während im Operationssaal alles nach Plan läuft, bietet der Dienst auf der Station so einige Überraschungen. Auf der Gebärabteilung stösst eine werdende Mutter an ihre persönlichen Grenzen. Nach mehreren Stunden in den Wehen ist sie komplett erschöpft und wünscht sich eine Periduralanästhesie (PDA).
Dr. med. Drepaul spritzt ihr hierfür ein Anästhetikum nahe dem Rückenmark. So wird für eine gewisse Zeit die Signalweiterleitung der Nerven unterdrückt. Die Schmerzen werden gelindert, die Frau kann aber trotzdem weiter pressen.
Im Operationssaal ist es nicht immer so, dass die Patientinnen und Patienten schlafen. Bei einer Regionalanästhesie wird nur ein Teil des Körpers unempfindlich gemacht. Teilnarkosen werden vor allem bei Eingriffen an den Extremitäten eingesetzt. Das ist auch bei Frau Matter der Fall. Sie unterzieht sich einem Eingriff an der Hand.
Chefarzt Dr. med. Simon Sulser leitet bei ihr die sogenannte Armplexusanästhesie ein, bei der das Anästhetikum in die Achselhöhle eingespritzt wird. Eine vorübergehende Blockade der Nerven, die mittels Ultraschall genau lokalisiert werden, sorgt für eine Schmerzunempfindlichkeit.
Diese wird nach der Injektion selbstverständlich gut geprüft.
Frau Matter wird während der Operation wach sein, wenn sie das wünscht. Manche Patientinnen und Patienten bevorzugen aber auch bei einer Teilnarkose, sediert zu werden, um nicht am Geschehen teilnehmen zu müssen.
Notfalleinsatz. Der Schock- oder Reanimationsraum bleibt heute glücklicherweise unbenutzt. Er dient der Erstversorgung schwer verletzter oder erkrankter Patientinnen und Patienten. Bei einem Notfall wäre auch hier die Anästhesistin in Weiss aufgeboten worden.