Sterben kann auch etwas Schönes sein
Auf der Palliativstation am Spital Uster werden unheilbar kranke Menschen umsorgt. Die Betreuung richtet sich nach individuellen Bedürfnissen. Ziel ist eine Stabilisierung des Gesundheitszustands – sowohl auf körperlicher wie auch auf psychischer Ebene.
Palliativpatientinnen und -patienten pflegt das Spital Uster schon lange. Wurden die unheilbar Erkrankten früher konsiliarisch auf verschiedenen Stationen betreut, so gibt es seit Frühjahr für sie eine neu eingerichtete Palliativstation. Bedarf an palliativer Behandlung und Begleitung haben – wie fälschlicherweise oft angenommen – nicht alle Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden. Es sind diejenigen, die körperlich oder psychisch instabil sind. Laut Dr. med. Sivan Schipper, Leiter der Palliativstation am Spital Uster, sei die Reaktion auf eine unheilbare Diagnose, die mit dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit einhergehe, sehr unterschiedlich. Während manche Menschen die Situation annehmen können, reagieren andere mit Verdrängung oder gar einem Schockzustand, der sich in einer Krise manifestiere. «Wir begleiten die Menschen auf ihrem Leidensweg und versuchen, ihnen eine positive Perspektive auf ihren letzten Lebensabschnitt mitzugeben», erklärt er. Das ist anspruchsvoll. Ein Rezept, das für alle funktioniert, gibt es nicht, wie auch Abteilungsleiterin Helen Stolz betont: «Manchmal ist es einfach nur angebracht, da zu sein und zuzuhören», sagt sie.
Rolle der Angehörigen ist zentral
Sich diese Zeit zu nehmen, ist auf der Palliativstation möglich. Es herrscht ein anderer Betreuungsschlüssel als auf den anderen Bettenstationen. Die Komplexität der Fälle erfordert das. Auch hinsichtlich anderer Aspekte unterscheidet sich die Station: Die Zimmer sind grosszügiger. Denn es braucht Raum für die Angehörigen. Sie nehmen in der Begleitung der Schwerkranken eine zentrale Rolle ein und müssen bezüglich ihrer Bedürfnisse mitberücksichtigt werden. Die Nähe zu ihren Liebsten ist ihnen wichtig. Massnahmen wie die neu geschaffene «Chuchi», in welcher Getränke zubereitet sowie Kühlschrank und Mikrowelle genutzt werden können, helfen, unnötig lange Wege zu vermeiden. Gegenwärtig ist auch ein Aufenthaltsraum in Planung: Bis Ende Jahr soll eine heimelige «Stubä» die Station erweitern und Raum für Begegnungen bieten.
Interdisziplinäres Team bietet grosse Vielfalt
Eine gute Atmosphäre ist auf der Palliativstation, wo der Mensch als Ganzes erfasst wird, wichtig. Zusätzlich zum internistischen Ansatz – bei welchem die körperliche Ebene im Vordergrund steht – fliessen die psychische, soziale und spirituelle Ebene in die Betreuung mit ein. «Wir richten uns primär nach den Wünschen und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und nicht ausschliesslich nach medizinischen Grundsätzen», erklären Helen Stolz und Sivan Schipper. Im Vordergrund stünden das persönliche Schicksal, die Lebensgeschichte und die Überzeugung des Einzelnen. Das Ziel sei, Leiden zu lindern und die letzte Lebensphase – unabhängig davon, wie lange diese andauern wird – so angenehm wie möglich zu gestalten. Daran beteiligt ist ein multiprofessionelles Team. Es besteht aus Mitarbeitenden der Bereiche Pflege, ärztlicher Dienst, Konsiliardienst, Sozialdienst, Physiotherapie, Ernährungsberatung, Seelsorge, Ergotherapie, Kunst- und Musiktherapie sowie Freiwilligen. Diese Ganzheitlichkeit ist gerade bei schweren Krankheiten zentral und deckt die unterschiedlichen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten ab.
Umhüllen und Sicherheit geben
«Die Palliativstation wird oft mit einer
Sterbestation gleichgesetzt», so Dr.
med. Sivan Schipper. «Dies ist ein
Trugschluss, da auf der Palliativstation
gar nicht so häufig gestorben wird.»
Die meisten Menschen verlassen das
Spital wieder. Sie kehren nach Hause
zurück oder treten in ein Pflegeheim
oder in ein Hospiz ein. Die Palliativstation ist eine Durchgangsstation.
Ihr Ziel ist es, den Patientinnen und
Patienten Sicherheit und Wärme zu
vermitteln – analog zum lateinischen
Wort «palliare», das wörtlich übersetzt «mit einem Mantel umhüllen»
bedeutet. Die Mitarbeitenden, die
sich auf der Palliativstation engagieren, wirken wie geschaffen dafür. Viele haben sich ganz bewusst
dafür entschieden, hier zu arbeiten.
Auch Helen Stolz. Sie nennt es eine
Herzensangelegenheit: «Ich wusste
schon seit meiner ersten Berührung
mit Sterbenden und ihren Angehörigen, dass mich diese Ganzheitlichkeit fasziniert», sagt sie. Trotzdem ist
die Arbeit manchmal sehr belastend.
«Ein gutes Team, wie wir es haben, federt vieles ab», so die Abteilungsleiterin. Es gibt aber Arbeitssituationen, die
auch bei den Mitarbeitenden Trauer
und Ohnmacht hinterlassen. Der Tod
eines jungen Menschen beispielsweise.
Rituale helfen, solche Erlebnisse gemeinsam zu verarbeiten. «Es ist wichtig,
ihnen Platz einzuräumen», betont sie.
Ein gutes Team federt vieles ab.
Neue Methoden gegen die Angst
Dass das Leben endlich ist, wird in
unserer Kultur gerne verdrängt. Sterben werde als ein Unglück oder als
eine Misere empfunden, so erlebt es
Sivan Schipper häufig. Die Auseinandersetzung mit dem Lebensende
habe ihn gelehrt: Wer Dankbarkeit
und Wertschätzung für das Gelebte
empfinde, könne meist gelassener
sterben. «Sterben muss nicht nur
traurig, sondern kann auch etwas
sehr Schönes und Befreiendes sein»,
betont er. Gegen Schmerzen am Lebensende gebe es Medikamente wie
Morphium. Komplexer sei die Angst,
die viele Menschen hätten. Oft verhindere sie einen Fokus auf das Wesentliche. Noch in diesem Jahr startet
Schipper, der zurzeit eine Weiterbildung in Psycholyse (das bedeutet: Psychotherapie mit bewusstseinsverändernden Substanzen wie LSD,
Psilocybin oder MDMA) absolviert, am
Spital Uster eine klinische Studie zur
Verabreichung von LSD bei Palliativpatientinnen und -patienten (siehe
Kasten). An der Studie, die vom
Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wird, sind die Unikliniken Zürich,
Basel und Genf mitbeteiligt. LSD gilt
als eine Erfahrungsmedizin. Das nicht
suchterzeugende Psychedelikum verändert die Sinneswahrnehmung und
kann die Sicht aufs Essenzielle schärfen. Der Palliativmediziner hofft, dass
diese Therapie zukünftig ein Weg
sein kann, Menschen von ihrer Angst
zu befreien und ihnen einen entspannten Abschied aus dem Leben
zu ermöglichen.