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Sterben kann auch etwas Schönes sein 01. November 2023

Sterben kann auch etwas Schönes sein

Auf der Palliativstation am Spital Uster werden unheilbar kranke Menschen umsorgt. Die Betreuung richtet sich nach individuellen Bedürfnissen. Ziel ist eine Stabilisierung des Gesundheitszustands – sowohl auf körperlicher wie auch auf psychischer Ebene.

Palliativpatientinnen und -patienten pflegt das Spital Uster schon lange. Wurden die unheilbar Erkrankten früher konsiliarisch auf verschiedenen Stationen betreut, so gibt es seit Frühjahr für sie eine neu eingerichtete Palliativstation. Bedarf an palliativer Behandlung und Begleitung haben – wie fälschlicherweise oft angenommen – nicht alle Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden. Es sind diejenigen, die körperlich oder psychisch instabil sind. Laut Dr. med. Sivan Schipper, Leiter der Palliativstation am Spital Uster, sei die Reaktion auf eine unheilbare Diagnose, die mit dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit einhergehe, sehr unterschiedlich. Während manche Menschen die Situation annehmen können, reagieren andere mit Verdrängung oder gar einem Schockzustand, der sich in einer Krise manifestiere. «Wir begleiten die Menschen auf ihrem Leidensweg und versuchen, ihnen eine positive Perspektive auf ihren letzten Lebensabschnitt mitzugeben», erklärt er. Das ist anspruchsvoll. Ein Rezept, das für alle funktioniert, gibt es nicht, wie auch Abteilungsleiterin Helen Stolz betont: «Manchmal ist es einfach nur angebracht, da zu sein und zuzuhören», sagt sie.


Rolle der Angehörigen ist zentral

Sich diese Zeit zu nehmen, ist auf der Palliativstation möglich. Es herrscht ein anderer Betreuungsschlüssel als auf den anderen Bettenstationen. Die Komplexität der Fälle erfordert das. Auch hinsichtlich anderer Aspekte unterscheidet sich die Station: Die Zimmer sind grosszügiger. Denn es braucht Raum für die Angehörigen. Sie nehmen in der Begleitung der Schwerkranken eine zentrale Rolle ein und müssen bezüglich ihrer Bedürfnisse mitberücksichtigt werden. Die Nähe zu ihren Liebsten ist ihnen wichtig. Massnahmen wie die neu geschaffene «Chuchi», in welcher Getränke zubereitet sowie Kühlschrank und Mikrowelle genutzt werden können, helfen, unnötig lange Wege zu vermeiden. Gegenwärtig ist auch ein Aufenthaltsraum in Planung: Bis Ende Jahr soll eine heimelige «Stubä» die Station erweitern und Raum für Begegnungen bieten.


Interdisziplinäres Team bietet grosse Vielfalt

Eine gute Atmosphäre ist auf der Palliativstation, wo der Mensch als Ganzes erfasst wird, wichtig. Zusätzlich zum internistischen Ansatz – bei welchem die körperliche Ebene im Vordergrund steht – fliessen die psychische, soziale und spirituelle Ebene in die Betreuung mit ein. «Wir richten uns primär nach den Wünschen und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und nicht ausschliesslich nach medizinischen Grundsätzen», erklären Helen Stolz und Sivan Schipper. Im Vordergrund stünden das persönliche Schicksal, die Lebensgeschichte und die Überzeugung des Einzelnen. Das Ziel sei, Leiden zu lindern und die letzte Lebensphase – unabhängig davon, wie lange diese andauern wird – so angenehm wie möglich zu gestalten. Daran beteiligt ist ein multiprofessionelles Team. Es besteht aus Mitarbeitenden der Bereiche Pflege, ärztlicher Dienst, Konsiliardienst, Sozialdienst, Physiotherapie, Ernährungsberatung, Seelsorge, Ergotherapie, Kunst- und Musiktherapie sowie Freiwilligen. Diese Ganzheitlichkeit ist gerade bei schweren Krankheiten zentral und deckt die unterschiedlichen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten ab.


Umhüllen und Sicherheit geben

«Die Palliativstation wird oft mit einer Sterbestation gleichgesetzt», so Dr. med. Sivan Schipper. «Dies ist ein Trugschluss, da auf der Palliativstation gar nicht so häufig gestorben wird.» Die meisten Menschen verlassen das Spital wieder. Sie kehren nach Hause zurück oder treten in ein Pflegeheim oder in ein Hospiz ein. Die Palliativstation ist eine Durchgangsstation. Ihr Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten Sicherheit und Wärme zu vermitteln – analog zum lateinischen Wort «palliare», das wörtlich übersetzt «mit einem Mantel umhüllen» bedeutet. Die Mitarbeitenden, die sich auf der Palliativstation engagieren, wirken wie geschaffen dafür. Viele haben sich ganz bewusst dafür entschieden, hier zu arbeiten. Auch Helen Stolz. Sie nennt es eine Herzensangelegenheit: «Ich wusste schon seit meiner ersten Berührung mit Sterbenden und ihren Angehörigen, dass mich diese Ganzheitlichkeit fasziniert», sagt sie. Trotzdem ist die Arbeit manchmal sehr belastend. «Ein gutes Team, wie wir es haben, federt vieles ab», so die Abteilungsleiterin. Es gibt aber Arbeitssituationen, die auch bei den Mitarbeitenden Trauer und Ohnmacht hinterlassen. Der Tod eines jungen Menschen beispielsweise. Rituale helfen, solche Erlebnisse gemeinsam zu verarbeiten. «Es ist wichtig, ihnen Platz einzuräumen», betont sie.

Ein gutes Team federt vieles ab.

Neue Methoden gegen die Angst

Dass das Leben endlich ist, wird in unserer Kultur gerne verdrängt. Sterben werde als ein Unglück oder als eine Misere empfunden, so erlebt es Sivan Schipper häufig. Die Auseinandersetzung mit dem Lebensende habe ihn gelehrt: Wer Dankbarkeit und Wertschätzung für das Gelebte empfinde, könne meist gelassener sterben. «Sterben muss nicht nur traurig, sondern kann auch etwas sehr Schönes und Befreiendes sein», betont er. Gegen Schmerzen am Lebensende gebe es Medikamente wie Morphium. Komplexer sei die Angst, die viele Menschen hätten. Oft verhindere sie einen Fokus auf das Wesentliche. Noch in diesem Jahr startet Schipper, der zurzeit eine Weiterbildung in Psycholyse (das bedeutet: Psychotherapie mit bewusstseinsverändernden Substanzen wie LSD, Psilocybin oder MDMA) absolviert, am Spital Uster eine klinische Studie zur Verabreichung von LSD bei Palliativpatientinnen und -patienten (siehe Kasten). An der Studie, die vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wird, sind die Unikliniken Zürich, Basel und Genf mitbeteiligt. LSD gilt als eine Erfahrungsmedizin. Das nicht suchterzeugende Psychedelikum verändert die Sinneswahrnehmung und kann die Sicht aufs Essenzielle schärfen. Der Palliativmediziner hofft, dass diese Therapie zukünftig ein Weg sein kann, Menschen von ihrer Angst zu befreien und ihnen einen entspannten Abschied aus dem Leben zu ermöglichen.

Studie zur LSD-assistierten Therapie

Von 2023 bis 2027 wird die Palliativstation des Spitals Uster neben den Universitätsspitälern Basel, Zürich und Genf als Studienzentrum einer schweizerischen Multizenterstudie fungieren, die die Wirksamkeit einer LSD-assistierten Therapie zur Behandlung von Angst bei Palliativpatientinnen und -patienten untersuchen wird. Die Studie zielt darauf ab, die Auswirkungen von LSD primär auf die Angst, sekundär auch auf andere belastende Symptome wie Depression, Demoralisierung, die allgemeine Leidenslast, das Schmerzniveau, die existenzielle Not, Veränderungen im Opioidkonsum sowie auch Veränderungen der Lebensqualität zu erfassen. Eingeschlossen werden können ambulante oder stationäre Patientinnen und Patienten im Alter von ≥ 20 Jahren, die an einer unheilbaren Krankheit jeglicher Ursache leiden (ausser Krebs mit ZNS-Beteiligung und Herzinsuffizienz im Endstadium) mit einer geschätzten Lebenserwartung von ≥ 12 Wochen und ≤ 2 Jahren. Patientinnen und Patienten mit Diagnose einer früheren oder gegenwärtigen psychotischen Störung, eines Delirs oder einer bipolaren Störung sind ausgeschlossen. Geeignete Patientinnen und Patienten können über das Palliative-Care-Team für eine Screeninguntersuchung angemeldet werden.

Palliativstation am Spital Uster

Die Palliativstation des Spitals Uster umfasst acht Betten, aufgeteilt in vier Einzelzimmer und zwei Doppelzimmer, mit Übernachtungsmöglichkeit für die Angehörigen. Für das Jahr 2024 sind die Zertifizierung der Abteilung sowie eine Anerkennung als Weiterbildungsstätte geplant. Mittelfristig werden am Spital Uster eine Erweiterung sowohl des stationären als auch des ambulanten Angebots sowie der Ausbau zu einem Kompetenzzentrum angestrebt.
Headerbild: Sarah Buob Text: Sarah Buob